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Nasim Eshqi im Interview
01.10.2023
Die 1982 geborene Nasim Eshqi ist die einzige iranische Profikletterin. Sie lebt im Teheran und engagiert sich dort dafür, den Klettersport zu vermitteln.
Bekannt wurde sie durch Ihren Film „Climbing Iran“, der letztes Jahr auf mehreren Outdoor Film Festivals gezeigt wurde. Er zeigt wie die traditionell männlich dominierte iranische Kultur dem Klettersport als befreiendem Element entgegensteht.Seit den Protesten und Demonstrationen im Iran mahnt sie, nicht zu schweigen und hat verständlicherweise eine ganz besondere Haltung zum Schutz der Bergwelt, der Menschenrechte und der Natur.
Freiheit ist nicht gleich Ignoranz
Findest du, dass man die Bergwelt sportlich nutzen und gleichzeitig schützen kann? (Oder ignorieren wir einfach, dass unser starker Konsum die Berge und die Umwelt kaputt macht?)
Ich denke natürlich, dass wir für die Bergwelt, die ja Menschen und Tiere – also uns selbst miteinschließt, etwas verändern können. Wir nutzen die Berge, um uns frei zu fühlen. Wenn es dann um Schutzmaßnahmen geht, ist es nicht in Ordnung, die Rechte der Tiere oder die Rechte der Umwelt oder die Menschenrechte zu ignorieren. Wir haben zum Beispiel die Olympischen Spiele für die Solidarität der Menschen, wie könnten wir also sagen, dass der Sport außerhalb der Menschenrechte stehe. Wir, die Menschen, die Sport treiben, müssen Verantwortung übernehmen, für uns selbst und für unser Umfeld. Sonst ist es nichts, was uns wirklich nahegeht, sondern einfach irgendwas.
Bei deinen Touren bist du oft in traumhafter Landschaft. Kannst du sie genießen und was tust du persönlich, um zum Schutz der Gebirgsnatur und des Klimas beizutragen?
Das ist eine sehr schwierige Frage, denn ich glaube, dass wir Menschen durch unsere Existenz alles zerstören. Also versuchen wir, uns selbst zu retten, nicht die Berge, nicht die Natur. Die Natur braucht uns nicht, um gerettet zu werden. Wenn wir nicht mehr existieren, wenn wir nicht mehr auf diesem Planeten sind, wird sich die Natur selbst heilen. Wenn ich rücksichtsvoll und umweltschonend handle, kann ich nicht sagen, dass ich etwas beitrage und bewege. Es sollte doch völlig normal sein, keine Bäume zu zerstören oder die Umwelt nicht zu verschmutzen. Wir sind keine besseren Menschen, wenn wir versuchen, die Natur zu retten - wir sind einfach selbstsüchtig, denn wenn wir über die Rettung der Natur reden, reden wir eigentlich über unsere eigene Rettung. Das Einzige, was ich persönlich tun kann, ist, nicht die großen Unternehmen zu verteidigen, die die kleinen Unternehmen zerstören.
Sport im Freien wird oft mit Risikobereitschaft in Verbindung gebracht. Ist diese Fähigkeit, etwas zu wagen, etwas Angeborenes oder kann sie erlernt werden? Was tust du, um deinen Sport möglichst sicher anzugehen?
Es ist ein Gefühl, das in jedem Menschen steckt, denn wir wollen immer Grenzen überschreiten. Das ist auch im normalen Leben so. Kinder wollen Grenzen austesten und Menschen haben diese Risikobereitschaft in ihrem Gehirn. Natürlich können wir das von anderen lernen. Risikobereitschaft war schon immer da. Auch in früheren Zeiten mussten wir Risiken eingehen, um für den Winter zu retten. Ich denke, ohne diese Fähigkeit zur Risikobereitschaft würden wir nicht existieren.
Wir wissen um die Situation im Iran und würden gerne wissen, welche Botschaft Sie an die Klettergemeinschaft senden möchten.
Danke, dass du diese Frage stellst. Meine Botschaft ist, dass wir Bergsteiger immer auf der Suche nach Freiheit sind und dass wir uns sehr um die Menschenrechte kümmern, was sich schon dadurch zeigt, dass wir in den westlichen Ländern Rettungsteams auf hohem Niveau haben. Wir kümmern uns also grundsätzlich um die Menschen. In der Klettergemeinschaft ist es immer ein Thema, wie wir unsere Freundschaft bewahren, statt sie für unser Ego aufs Spiel zu setzen. Auf einer höheren Ebene geht es darum, dass wir auch ein Bewusstsein für die Situation der Menschenrechte schaffen müssen. Ich möchte nicht über Politik und diese komplizierte Situation im Iran sprechen. Aber wenn wir uns bewusstwerden, dass wir darüber Bescheid wissen, ist es sehr wichtig, zuzuhören und sie nicht zu ignorieren, sonst macht der Begriff der Gemeinschaft keinen Sinn mehr. Meine Freunde zum Beispiel versuchen, die Stimme des iranischen Volkes zu sein, sie versuchen zu reden, aber sie haben keine Plattform, das Internet ist blockiert, und sie zeigen mir, dass die Klettergemeinschaft keine faule, ignorante Gemeinschaft ist. Das macht mich glücklich und wünsche mir, dass die Kletter-Community mitmacht und die Stimme all dieser Frauen im Iran ist, die kein Internet haben, um ihre Stimme in die Welt zu senden. Ich denke, das ist unsere Pflicht, ich nutze meine Plattform dafür und ich wünsche mir, dass meine Freunde spüren, dass ich etwas tun kann.
© Bild: Moritz Latzka